"COME UN ANGELO...." - Huder Schüler bei der Retrospektive auf Astrid Klein
Bericht von Joest Leopold
A. Klein, Er sagt: Ich bin, 2002
In meiner Jugend hörte ich Gianna Nannini. Mit stimmgewaltiger Röhre propagierte sie feministische Ideen für die sexuelle Befreiung und gegen eine männliche Dominanz. 1979 löste sie mit ihrem legendär gewordenen Cover zur LP America ein kleines Erdbeben aus: Im katholischen Italien tauschte sie bei der Abbildung der Freiheitsstatue die Fackel gegen einen Dildo. Die Freiheit ist weiblich, nicht nur grammatikalisch, sondern auch kunstgeschichtlich – man denke nur an Delacroix Die Freiheit führt das Volk von 1830…
Was den Mädchen und Frauen unserer Tage selbstverständlich erscheint, war bekanntlich nicht immer so. Viele Freiheiten und Rechte mussten mühsam erkämpft und nachhaltig verteidigt werden. Die Frau als liebreizendes Geschöpf an der Seite des Mannes bestimmte noch bis weit über die Mitte des 20. Jh. die Vorstellung der westlichen Gesellschaften und Gianna Nanninis Versuch, die Engelsattitüde ablegen zu wollen, war 1976 noch von Unsicherheit und Schüchternheit geprägt. Damals rollte die zweite Welle der Frauenrechtsbewegung über Europa, die im Zuge der Studentenunruhen Ende der 1960er Jahre deutlich an Fahrt gewonnen hatte. Moderne gesellschaftliche Experimente und selbstbewusste weibliche Präsenz eroberten die Öffentlichkeit, wurden diskutiert – geliebt und gehasst. 1976 gipfelte die Bewegung in einem Internationalen Tribunal zu Gewalt gegen Frauen, das in Brüssel ausgetragen wurde.
In dieser Zeit studierte Astrid Klein an der Kölner Fachhochschule für Kunst und Design und setzte den Zeitgeist konsequent in ihren Arbeiten um. Sie gilt als Fotokünstlerin, die allerdings keine eigenen Fotos entwickelt, sondern vorgefundenes Fotomaterial bearbeitet – vergrößert, rastert, collagiert.
A. Klein, daß vollkommene Liebe…, 1979
Foto: Jana Bork
Sehr bekannt wurden Kleins feministische Collagen, die in ihrer Zeit an der Pariser Cité des Arts entstanden und das Rollenbild der Frau thematisieren. In diesen Werken der späten 70er- und frühen 80er-Jahre verband Klein Filmstills und andere massenmediale Darstellungen mit Zitaten von Allgemeinplätzen und banalen Phrasen, um das voyeuristische Genre des Fotoromans und seine Geschlechterrollen zu dekonstruieren.
A. Klein, BB – ich denke…, 1980
Die offensichtlich von Sarah Schumann, Cindy Sherman und Sigmar Polke beeinflusste Künstlerin blieb der feministischen Kunst auch in der Folge treu, verarbeitete jedoch ebenfalls gesamtgesellschaftliche Probleme ihrer Zeit wie z. B. das der RAF oder das der No-Future-Generation in den achtziger Jahren. Eines ihrer bedeutendsten Bilder ist das 1982 fertiggestellte Monumentalwerk Endzeitgefühle II, welches knapp 40qm misst!
A. Klein, Endzeitgefühle II, 1982
Die großformatige Fotoarbeit, die zu den Inkunabeln der deutschen Gegenwartskunst gehört, war jahrelang in einer Vitrine einer Hamburger U-Bahn-Station ausgestellt und verdeutlicht die Angst vor den Höllenhunden der Gegenwart und der ungewissen Zukunft, die angesichts von Nazivergangenheit, Aufrüstung und Arbeitslosigkeit wie ein riesiger Alp auf den Menschen lastete und sie lähmte.
In jene Zeit wurden die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler des Politik-WPK an der Peter Ustinov Schule Hude zurückversetzt, um in eine Diskussion einzutauchen, die unsere Gegenwart und ihre gewachsenen Bedingungen zu erklären hilft. So auch in die Auseinandersetzung des s. g. Historikerstreits 1986/1987, in dessen Verlauf der Versuch unternommen wurde, die NS-Untaten zu relativieren. Das Wort von der Gnade der späten Geburt machte damals die Runde und sollte helfen, einen Schlussstrich zu ziehen. Damit hätten wir Deutschen uns aber definitiv aus der Verantwortung gestohlen! Glücklicherweise konnten sich seinerzeit vernünftige Kräfte durchsetzen, die gegen das Vergessen und für das Erinnern eintraten.
Ziel des Museumsbesuches war neben diesen Diskursen erneut die Vertiefung der Kompetenz des kritischen Sehens, die im Leitbild der Schule als Teil der Medienkompetenz verstanden wird. Der einfühlsam von einer Hamburger Museumspädagogin geführte Besuch in der Außenstelle der Deichtorhallen, in der Sammlung Falckenberg im Stadtteil Harburg, ermöglichte den Lernenden nicht bloß den Direktkontakt mit den Kunstwerken, sondern auch den Austausch mit einer Fachkraft, die zur aktiven Mitarbeit aufforderte. Es scheuten sich nur wenige, dem Angebot nachzukommen, so dass sich ein reges Gespräch entwickelte, in dessen Verlauf das bisher Gelernte eingesetzt und fruchtbar ergänzt werden konnte. Gerade die Werke zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen beeindruckten unsere Schülerinnen und Schüler sehr…
A.Klein, Quadriga, 1986
A. Klein, eingeebnet, eingeordnet, begradigt, 1984
Der Besuch der Klein-Retrospektive hat wieder einmal gezeigt, wie wichtig die Begegnung mit Gegenwartskunst ist und wie intensiv Lernende in die Zeitläufte eintauchen können! So bleibt das eindringlich mahnende Bild der Walhalla mit der brennenden Figur im Vordergrund im Gedächtnis und kann helfen, unreflektiertem Nationalismus vorzubeugen.
Klein, die von sich sagt, dass sie keine Antworten gibt, sondern lediglich Fragen stellt, entmythologisiert die deutsche Geschichte und entzaubert die Rollenklischees… Nicht nur die Frau, sondern auch der Mann misstraut heute dem Engelsattribut, das uns unberechtigt glorifiziert:
„…per cui saremo davvere persone
soltanto persone
e non essere più
come angeli…“
G. Nannini
(Dafür sind wir wirklich Menschen, nur Menschen und nicht mehr wie die Engel…)
Foto: Jana Bork
Text und Fotos: Dr. Joest Leopold