Im Erzreich der totalsten Malerei - Politikkurs besucht Hamburger Sammlung Falckenberg
Bericht von Dr. Joest Leopold
Der Besuch der Hamburger Sammlung Falckenberg erwies sich für den Politikkurs der Peter Ustinov Schule als wahrer Glücksfall. Weil die Lernenden bei einem Blick ins Magazin der Ausstellungshalle Namen ihnen bekannter Künstler entdeckten, wurden sie spontan eingeladen, abseits der eigentlichen Kleinretrospektive in eine Installation des enfant terrible der deutschen Gegenwartskunst, Jonathan Meese, einzutauchen. Das Gesamtkunstwerk aus mehreren Räumen entpuppte sich als extrem komplexes Ensemble von Gemälden, Objekten, Collagen und Klanginstallationen, das am Rande der ehemaligen Gummifabrik Phoenix ein stilles, aber beeindruckendes Dasein führt. Den Sammler Dr. Harald Falckenberg, dessen Kunstsammlung zu den bedeutendsten seiner Art auf der Welt gehört, verbindet eine lange und intensive Beziehung zu Meese. 1970 geboren, absolvierte Meese einige Semester ein Studium an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, bevor er die Akademie ohne Abschluss verließ und sich als freischaffender Künstler niederließ. Falckenberg erkannte Talent und nachhaltige Bedeutung im Werk des jungen Künstlers, so dass er früh damit begann, seine Werke zu sammeln. So entstand eine Bindung zwischen Künstler und Sammler, die bis heute hält und erklärt, warum es zur Gestaltung der abgelegenen Räume in der Phoenix-Ausstellungshalle durch Meese kam. Was Meese für junge Lernende so attraktiv macht, liegt in seiner Experimentierfreude und in der Ablehnung jeglicher political correctness. Diese Eigenschaften rücken Meese in gewisser Weise in die Nähe des jungen Polke und führten in der Vergangenheit nicht selten zu juristischen und moralischen Konfrontationen. Die Kunst Meeses ist für viele Zeitgenossen unverständlich und wer einen eingeschränkten Kunstbegriff nutzt, reagiert mitunter ablehnend. „Obszön“ und „kindisch“ sind deshalb Attribute, die dem Werk Meeses gerne angehängt werden. Von dieser Kategorisierung ist es nicht mehr weit bis zur Diffamierung mittels Begriffen wie „dumm“ und „entartet“, womit wir genau dort angelangt sind, worauf die Werke häufig abzielen – nämlich auf die kleinbürgerliche Attitüde der aalglatten Mainstreamästhetik einer schönen heilen Welt. Meese, der auch schon einmal auf Performances den Hitlergruß imitiert oder das Hakenkreuz in seine Gemälde einflicht, ist mitnichten ein Faschist, sondern ein wacher Beobachter der gesellschaftlichen Entwicklung, die er – wie Polke – oftmals spiegelt. Dabei gelingt es ihm durch Tabubrüche Aufmerksamkeit zu erlangen, die für die politischen Diskurse der Gegenwart dringend benötigt wird: Seine Forderung nach einer „Diktatur der Kunst“ ist nichts weniger, als der Versuch, freiheitliches Denken nachhaltig zu implementieren und einer Abschaffung derselben durch ängstliche Moralapostel in juristisch-moralischen Kamikaze-Aktionen vorzubeugen. Die political correctness muss als ideologisches Werkzeug der Entmündigung erkannt und stark eingeschränkt werden. Mit jeder Entscheidung für eine Beschränkung künstlerischer Freiheit bedingen wir die nächste weiterführende Beschränkung, bis wir den Totalitarismus wieder hoffähig gemacht haben. Diverse Verfassungen haben die Freiheit der Kunst anerkannt, die derzeit durch einige fragwürdige gerichtliche Entscheidungen gefährdet ist. Man denke nur an Jan Böhmermanns Satire…
Betrachtet man die Werke Meeses näher, so fallen einem die zahlreichen Begriffsinklusionen in den Gemälden auf. Häufig begegnen uns die Worte ERZ und TOTAL oder der Neologismus TOTALST. Es sind Superlative der Sprache, mittels derer Meese den Bildinhalten zu unmissverständlicher Bedeutungsüberhöhung verhilft. In diesen Zusammenhang gehören auch das Bild des Eisernen Kreuzes und weitere Machtinsignien – gerne von Diktatoren -, Zeichen, die auf die Ambivalenz der Macht verweisen. Das total Gute und das total Böse müssen bei Meese - und darüber hinaus überall – erkannt und voneinander getrennt werden. Meese ist auf der Suche nach dem Ursinn des Lebens und nach der Antwort auf die Frage, inwiefern die Gut-Böse-Dichotomie dabei eine Rolle spielt. Die Ergebnisse muss der Betrachter aber selbst bewerten. Dabei erhebt der Künstler weder den Anspruch auf wissenschaftliche Erkenntnisse, noch auf logische Konsequenzen in seinen Werken. Gerade die dadaistisch anmutende Groteske in seinem Werk macht ihn so erfolgreich: Immer wenn man ihm auf eine Spur gekommen zu sein scheint, endet der Pfad in offensichtlichen Widersprüchen.
J. Meese, Der Erzmilchpapst
Auf seiner Suche begegnen uns zahlreiche historische und mythologische Gestalten und Figuren, die allesamt politische oder intellektuelle Macht verkörpern. Dass es sich dabei auch oftmals um negativ besetzte Personen handelt, liegt auf der Hand: Hitler, Stalin, Nero, Caligula, Nietzsche, Heidegger usw. bevölkern den künstlerischen Kosmos des Jonathan Meese und zeigen Entgrenzungen von Macht im Missbrauch derselben, verweisen aber auch auf sein Konzept der totalen Macht der Kunst, die nicht beschnitten werden darf, um ihre Funktion als Regulativ der Erkenntnis nicht einzubüßen!
Dass Meese keine Gewaltverherrlichung betreibt, war unseren Schülerinnen und Schülern klar. Die faschistischen Zitate – vor allem der deutschen Mythologien - in den Kunstwerken, gelten der Aufdeckung von historischen und gegenwärtigen Anmaßungen. Den Lernenden unserer Schule war Meese natürlich aus dem Unterricht ein Begriff und seine Kunst wurde deshalb auch richtig eingeordnet. Das Ziel des Politikkurses, einen freien Kunstbegriff zu implementieren, war also auf fruchtbaren Boden gefallen…
J. Meese, Erzkinder
Eine weitere wichtige Provokation in Meeses Kunst ist die Bezugnahme auf sexuelle Potenz. Nicht dass es dem Künstler dabei um den Skandel um des Skandals willen geht, sondern im diesbezüglichen Thema verdichtet sich die Konfrontation dermaßen, dass sich ein Diskurs entwickelt, der die Wahrnehmung schärfen hilft. Sexualität ist grundsätzlich lebenspendend und damit gut, sie birgt aber bekanntlich auch den Missbrauch und damit das Böse… So thematisiert er die erotisierten Bilder des 2001 verstorbenen Künstlerkollegen Balthus auf eine ihm eigene Art und verballhornt den Namen in Balthys, gleichermaßen, um Ablehnung und Erkenntnisgewinn bemüht.
J. Meese, Schach dem Balthys, rechte Seite, 2001
Verlässt man den zentralen Hauptraum des Gesamtkunstwerkes und betritt ein als Büro eingerichtetes Gemach, so erhält man tiefere Einblicke in die Familiengeschichte des Sammlers. Dieser s. g. Vaterraum oder die Daddy Zentrale ist überfüllt mit künstlerisch gestalteten Anspielungen auf Falckenbergs Vater und seine Rolle während der Zeit des Dritten Reiches. Falckenberg wollte hier mittels der zeitgenössischen Interpretation Meeses eine Schattenseite seiner Familie aufarbeiten. Deshalb wundert es nicht, hier private Fotos, aber auch Meeses Umsetzungen der faschistischen Vergangenheit vorzufinden. Das Böse verdichtet sich im Auge des Betrachters in diesem Raum dermaßen, dass der Besuch eine bedrückende Stimmung hinterlässt.
J. Meese, Daddy Zentrale (Vaterraum)
Auf einem etwas tiefer liegenden Niveau – über eine kleine Treppe erreichbar – liegt ein als Waschraum des Grauens konzipierter Raum, quasi im Untergrund oder auf halbem Weg zur Hölle. Hier installierte Meese Originalwaschbecken und Originalschränke von Zwangsarbeitern des Dritten Reiches, wie um den geschundenen Opfern eine Gedenkstätte zu geben, die in unmittelbarer Nähe des s. g. Vaterraumes eine besonders eindringliche Mahnung birgt.
Bedenkt man, dass sich unsere Lernenden vor knapp einem Jahr ohne Vorbildung auf die Reise durch die Gegenwartskunst begeben haben, so ist das Ergebnis umso überwältigender. Akzeptanz gegenüber innovativen Ausdrucksformen sowie Toleranz gegenüber dem Anderen in Wort, Tat und Bild konnten deutlich ausgebaut werden. Damit ist an unserer Schule eine Idee umgesetzt worden, die hoffentlich in den kommenden Jahren weiter verfolgt werden kann. Es ist im Sinne der demokratischen und humanistischen Bildung, dass Jugendliche alternative Erkenntniswege kritisch nutzen lernen, die zum aktiven Weiterdenken auffordern und durch ihre Mehrdimensionalität einfache und populistische Lösungen verhindern helfen können…
Phoenix-Ausstellungshalle, Außenansicht
Text und Fotos: Dr. Joest Leopold