IN MEMORIAM - Kindermord am Bullenhuser Damm....20.4.1945
In der Nacht vom 20. auf den 21. April des Jahres 1945 fand in Hamburg einer der schrecklichsten Massenmorde der deutschen Geschichte statt. In der Schule am „Bullenhuser Damm“, die in den späten Kriegsjahren als Außenstelle des Hamburger Konzentrationslagers Neuengamme diente, erhängte die SS 20 Kinder im Alter von 5 bis 12 Jahren in einem Kellerraum. Der Mord sollte ein anderes Verbrechen verschleiern, das die SS an den Kindern begangen hatte: Josef Mengele, der berüchtigte Lagerarzt des Konzentrationslagers Auschwitz, schickte im November 1944 zwanzig jüdische Kinder nach Hamburg, um sie dort für medizinische Versuche missbrauchen zu lassen. In Neuengamme ließ der dortige SS-Arzt Heißmeyer den Kindern die Brust aufschneiden, um im Rahmen seiner TBC-Forschung Tuberkulose-Erreger in die Körper einzubringen. Nach einem schweren Fieberschub wurden weitere Erreger mittels eines Schlauches durch den Mund in die Lunge eingeträufelt. Beide Verstöße gegen das ärztliche Gelübde und die Menschlichkeit fanden ohne Betäubung statt. Welchen Qualen die Kinder während der Versuche und in der Folge ausgesetzt waren, lässt sich kaum erahnen. Nachdem auch die zweite medizinisch sinnlose und unmenschliche Versuchsreihe keine brauchbaren Ergebnisse geliefert hatte, musste ein Häftlingsarzt den Kindern in zwei Schritten mit örtlicher Betäubung sämtliche Lymphknoten der Achselhöhlen herausoperieren. Als Hamburg bereits von alliierten Bodentruppen erreicht worden war, erging der Befehl, die Kinder zum Zwecke der Vertuschung umzubringen. Dafür wurden sie am 20.04.1945 in besagte Schule verbracht und unter der Aufsicht des SS-Obersturmführers Strippel im Keller einzeln erhängt. Weil die ausgehungerten Kinder zu leicht waren, erdrosselten die Stricke sie nicht, so dass sie panisch um sich schlugen. Die SS-Leute zogen an ihren Beinen und hängten sich mit ihren Körpern an die Opfer, um deren Tod zu beschleunigen…
„Zwanzig Kinder erhängen dauert lange. Es war schon hell, als die SS-Leute nach oben gingen, um Kaffee zu trinken und Zigaretten zu rauchen. Dann fuhren sie zurück nach Neuengamme. Am nächsten Morgen bekamen sie ihre Belohnung, 20 Zigaretten und einen halben Liter Schnaps. Das gab es nach jeder »Aktion«.“ (Zeit Online 2005)
Bei den britischen Prozessen gegen die Lagerführung von Neuengamme kam es zum Teil zu juristischen Pannen, so dass der Lagerarzt Heißmeyer nicht belangt wurde und vorerst straffrei ausging. Erst 1963 wurde er in der damaligen DDR verhaftet und 1966 zu lebenslanger Haft verurteilt. Weitere Täter, wie der SS-Mann Strippel, sind bis heute nicht ausreichend juristisch belangt worden…
J. Waller: „21. April 1945, 5 Uhr morgens“, 1987
Die Hamburger Justiz vermied es in der Vergangenheit, dieses Verbrechen als „grausam“ zu bezeichnen, da „den Kindern über die Wegnahme ihres Lebens hinaus kein weiteres Übel zugefügt worden“ sei, so der amtliche Wortlaut des einstigen Oberstaatsanwalts Münzberg.
Die Schule am Bullenhuser Damm wurde im Jahr 1948 wieder als solche eröffnet und diente noch bis 1987 als öffentliche Bildungsanstalt – zuletzt als Grundschule! Unzählige Lernende gingen hier ein und aus, arbeiteten und lernten, ohne zu wissen, welches schreckliche Verbrechen in den Kellern unter ihren Klassenräumen verübt worden war… Erst am 20. April 1979 kam es im Zuge einer Publikation des Journalisten Günther Schwarberg zu einer ersten großen Gedenkveranstaltung, in deren Folge die Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm gegründet wurde. Sie bewahrt bis heute das Andenken an die Opfer und leistet pädagogische Aufklärungsarbeit, die schmerzhaft, aber notwendig ist.
Seit 1979 kamen zahlreiche Menschen aus dem In- und Ausland zum Bullenhuser Damm, um der ermordeten Kinder zu gedenken. Heute sind viele Gruppen an den Gedenkfeiern beteiligt, so dass ein breiteres Fundament der Menschlichkeit geschaffen werden kann, welches uns dienen soll, in der Erinnerung an die grausame Tat, die Zukunft ohne Faschismus und Hass zu gestalten. Mittlerweile tragen 20 Straßen und Plätze in Hamburg die Namen der Kinder, um die Erinnerung auch in das alltägliche Bewusstsein der Bewohner dieser Stadt zu integrieren und die Solidarität mit den Opfern zu stärken. An der Schule am Bullenhuser Damm wurde ein Rosengarten angelegt, der zum Verweilen und Innehalten auffordert. Hier können weiterhin Rosenstöcke gepflanzt und damit sichtbare Zeichen der Verbundenheit gesetzt werden.
Die Huder Schulklasse 9Ga hat sich in diesem Jahr intensiv mit dem Massenmord beschäftigt und ist in eine biografische Spurensuche eingetaucht, damit auch abseits der Mordstätte das Andenken an die unschuldigen Kinder vom Bullenhuser Damm gewahrt werden kann. Ihre Aufarbeitung der schrecklichen Geschehnisse finden sich in einer Präsentation, die derzeit in der Pausenhalle der Peter-Ustinov-Schule gezeigt wird. Angesichts der Tatsache, dass die Shoah in erster Linie von christlich sozialisierten Menschen begangen wurde, kann unsere Verantwortung nicht abgestreift werden – weder dort, noch hier. Die Mahnung, die aus der Würdigung der Opfer spricht, richtet sich nicht nur gegen den nationalsozialistischen Antisemitismus, sondern ist breiter angelegt. Entsprechend den Idealen der Menschlichkeit, denen unsere heutige Gesellschaft und Bildung verpflichtet sind, stehen Lernende und Lehrende der Peter-Ustinov-Schule Hude für eine Kultur der grenzübergreifenden Gemeinschaft ohne Rassismus und der bedingungslosen Demokratie; für eine Kultur, in der jeder aufsteht und den Sinn seines Handelns und jedes anderen Menschen auch, an der Maxime der Nächstenliebe misst.
„Rose, oh reiner Widerspruch, Lust, Niemandes Schlaf zu sein unter so viel Lidern“ R. M. Rilke
Text und Fotos: Dr. Joest Leopold